Rathaus Key Visual 1, © Tourist Information Kochel a. See, Fotograf: D. Weickel

Auszug - Schutzstatus Wolf; Regulierung der Population, Stellungnahme  

32. Sitzung des Gemeinderates Kochel a. See
TOP: Ö 6.1
Gremium: Gemeinderat Kochel a. See Beschlussart: geändert beschlossen
Datum: Di, 28.03.2023 Status: öffentlich/nichtöffentlich
Zeit: 19:00 - 21:52 Anlass: Sitzung
Raum: Sitzungssaal Kochel a. See
Ort: Rathaus Kochel a. See
K-0039/2023 Schutzstatus Wolf; Regulierung der Population, Stellungnahme
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage GRK
Federführend:Hauptverwaltung Bearbeiter/-in: Holz, Thomas W.
 
Wortprotokoll
Beschluss
Abstimmungsergebnis

Seit der Wolf unter dem strengen Schutz der Berner Konvention und der Flora-Fauna-Habitat (FFH-)-Richtlinie der EU steht, breitet sich der Wolf in Europa wieder stark aus. In den vergangenen 10 Jahren hat sich beispielsweise das Gebiet mit Wolfvorkommen um rund 25 Prozent vergrößert (zu einer Einschätzung des Schutzstatus des Wolfes in Europa siehe: Large Carnivore Initiative for Europe (2022): Assessment of the conservation status of the Wolf (Canis lupus) in Europe. T-PVS/Inf(2022)45. https://rm.coe.int/inf45e-2022-wolf-assessment-bern-convention-2791-5979-4182-1-2/1680a7fa47). Aufgrund des derzeit geschätzten Gesamtbestandes von 21.500 Individuen in Europa bewertet die Large Carnivore Initiative for Europe[1] die in Europa vorkommenden Teilpopulationen entsprechend der Roten Liste überwiegend als „least concern“[2] ein. In Deutschland wurden 2022 161 Wolfrudel gezählt (hinzu kommen 43 Wolfspaare sowie 19 sesshafte Einzeltiere), 2012 waren es nur 14 Wolfsrudel (zur Entwicklung der Wolfpopulation in Deutschland siehe die Informationen der DBBW - Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Görlitz: https://www.dbb-wolf.de/Wolfsvorkommen/territorien/entwicklung-diagramm). Im Januar 2023 rechnete der Deutsche Bauernverband mit einem Bestand von 1554 bis 2722 Wölfen in Deutschland (https://www.bauernverband.de/themendossiers/wolf/themendossier/wie-viele-woelfe-leben-bereits-indeutschland). Zudem zeigt sich bei den sesshaften Rudeln ein exponentieller jährlicher Zuwachs von etwa 30 Prozent. Diese starke Ausbreitungsdynamik führt in Deutschland mit seiner hohen Siedlungs- und Bevölkerungsdichte und unserer landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft zu erheblichen Konflikten. So hat sich die Zahl der Nutztierrisse in den vergangenen zehn Jahren fast verzwanzigfacht: Von unter 200 Tieren im Jahr 2012 auf beinahe 4.000 Tiere im Jahr 2020 (s. Schadensstatistik des DBBW: https://www.dbb-wolf.de/wolfsmanagement/herdenschutz/schadensstatistik).

 

Über die Anzahl der im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und im Gemeindegebiet Kochel a. See befindlichen Wölfe gibt es aktuell (noch) keine verlässlichen Zahlen. In der direkt benachbarten Zugspitzregion sind derzeit mindestens 3 männliche und 1 weiblicher Wolf unterwegs. Eine Rudelbildung kann daher in naher Zukunft erwartet werden. Die Nutztier-Risse auf verschiedenen Almen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen im Sommer 2022 und die Anzahl festgestellter Wildtier-Risse im Winterhalbjahr lassen darüber hinaus befürchten, dass 2023 wesentlich mehr Wolfsrisse bei Weidetieren auftreten werden, wenn keine zielführenden Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Da sich dieser große Beutegreifer zur Nahrungssuche bis zu 48 Kilometer von seinem Bau oder seinen Jungen entfernen und innerhalb von 24 Stunden bis zu 72 Kilometer zurücklegen kann, ist davon auszugehen, dass er auch im Gemeindegebiet Kochel a. See unterwegs ist. Ein Wolfsriss direkt an der Gemeindegrenze zu Beginn des Jahres lassen diese Befürchtung erhärten.

 

Der Wolf ist derzeit in der FFH-Richtlinie im Anhang IV genannt. Einer Entnahme des Wolfes sind daher nach Art. 16 FFH-Richtlinie enge Grenzen gesetzt. Hierzu müssen die Art. 45 und 45a BNatSchG, der Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen der Umweltministerkonferenz sowie der bayerische Aktionsplan Wolf eingehalten werden (s. https://www.umweltministerkonferenz.de/umlbeschluesse/umlaufBericht2021_52.pdf und https://www.lfu.bayern.de/publikationen/get_pdf.htm?art_nr=lfu_nat_00360). Eine Entnahme ist somit nur als Einzelfallentscheidung bei aktuellen und befürchteten Nutztierrissen in nicht schützbaren Weidegebieten (diese werden von der Landwirtschaftsverwaltung erlassen) und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt möglich.

 

Das Gemeindegebiet von Kochel a. See liegt in einem Gebiet, welches aus topographischen und klimatischen Gründen landwirtschaftlich fast ausschließlich als Grünland genutzt werden kann. Dabei spielt die Weidenutzung mit Rindern, Pferden, Schafen und Ziegen eine nicht unwesentliche Rolle. Wegen der schwierigen Geländeverhältnisse und der Großflächigkeit der Weideflächen ist hier ein wirksamer Schutz gegen Wolfsangriffe aber nachweislich meist nicht möglich.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Landwirte ihr Vieh schon aus Tierschutzgründen auf Dauer nicht den Wolfsangriffen aussetzen und deshalb den Weideaustrieb einstellen werden. Landwirtschaft kann hier ohne die Weidenutzung von Almen und Talflächen aber nicht betrieben werden. Damit drohen auch den bekannten und beliebten Wiesenlandschaften der Gemeinde und des Landkreises das Aus. Mit der Gefährdung des Grünlandwirtschaftssystems sind auch der Lebensraum der örtlichen Bevölkerung und eine überregional bedeutende, attraktive Erholungslandschaft in großer Gefahr.

 

Der Landkreis Garmisch-Partenkirchen hat bei der Regierung von Oberbayern einen Antrag auf Einrichtung eines Weideschutzgebietes mit erleichterter Wolfsentnahme gestellt, um einen Fortbestand der Weidewirtschaft in unserer Region zu ermöglichen (s. Anlage zur Ladung).

Um der Bedeutung des Problems Nachdruck zu verleihen, sollten sich möglichst viele Gemeindeparlamente mit dem Thema „Wolf“ beschäftigen und sich entsprechend positionieren.


[1] Die Large Carnivore Initiative for Europe, übersetzt ins Deutsche, Initiative für große Karnivoren in Europa, ist eine der Species Survival Commission nachgeordnete und mit großen Raubtiere wie Wolf, Luchs, Braunbär und Vielfraß befasste Arbeitsgruppe innerhalb der IUCN (International Union for Conservation of Nature)

[2] „geringste Sorge“


Beschluss:

 

Die Gemeinde Kochel a. See fordert die Entscheidungsträger auf Bundesebene und europäischer Ebene eindringlich auf, die Tatsache der Nicht-Schützbarkeit vieler Weideflächen und die zwangsläufigen und fatalen landeskulturellen Folgen zur Kenntnis zu nehmen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Ein staatliches Wolfsmanagement muss die Zerstörung vieler für den Naturschutz und die Gesellschaft so bedeutsamer Landschaften verhindern, bevor irreversible Entwicklungen in der Landwirtschaft und in der Landschaft eingetreten sind. Der Gemeinderat unterstützt zudem den Antrag des Landkreises Garmisch-Partenkirchen zur Einrichtung eines Weideschutzgebietes mit erleichterter Wolfsentnahme.


Abstimmungsergebnis:

 

15 : 2